Eine Ich-Erzählerin lässt die Leser:innen an ihrer glücklichen Kindheit teilhaben. Zwei Nachbarsmädchen, die beste Freundinnen sind, zusammen spielen, klettern, herumtollen, Geheimnisse haben. Immer dabei: der eigene Hund Bodri und Bandi, der Hund der Freundin. Aus bürgerlichem Haus kommen beide Mädchen, man sieht es am Wohnungsinterieur und an der Kleidung, Faltenrock, Kleidchen, weiße Kniestrümpfe und schwarze Lack-Schuhe. Die Ich-Erzählerin ist Jüdin, ihre Freundin nicht.
Die Welt verändert sich, als die Ich-Erzählerin im Radio Adolf Hitler „schreien“ hört, Deutsch ist für sie eine fremde Sprache. Die Eltern sind beunruhigt und verunsichert, ja, sie haben zum Erstaunen und Entsetzen des Kindes Angst. Als sie nicht mehr mit ihrer Freundin spielen darf, nicht mehr auf der Parkbank sitzen darf, als Krieg kommt, als „Hitlers Soldaten“ die Familie abholen – da ist die Erzählerin sicher, dass Hitler sie hasst.
Bodri darf nicht mit auf den Transport.
Das Leben im Konzentrationslager ist sprachlich eine Skizze: Sträflingskleidung müssen sie anziehen, Holzschuhe tragen, sie dürfen keine Haare haben, aber Hunger und Durst. „Die Erwachsenen verschwanden“, „Wir sind fast gestorben in dem Lager, meine Schwester und ich.“ Die Vorstellung von Brodi, der sich mit anderen Hunden zusammen tut und lebt, und wartet, hält für die Erzählerin die Erinnerung an Fröhlichkeit und Unversehrtheit wach.
Dann wechselt die Erzählhaltung, und das Buch wird kurz wirklich zur „Geschichte von Bodri“. Bodri konnte die Tage nicht zählen. Er wartet und wartet und wartet durch die Jahreszeiten, hört schließlich „Bodri! Bodri!“ und traut seinen Ohren nicht. „Das ist sie!“
„Das war ich!“ Hitler ist tot, die Ich-Erzählerin und ihre Schwester leben.
Die Illustrationen sind skizzenhafte, manchmal flüchtige, aber emotionale Aquarelle, die wichtige Details beinhalten. Bedrohliches wird mit dunkelvioletten, an den Rändern zerfließenden Flächen dargestellt, die eine Szene überlagern. Auch die Deportation und das Lager werden bebildert. Die Illustratorin verwendet dafür zwei ikonografische Bilder: das des Kindes mit furchtsam erhobenen Händen, fotografiert bei der Liquidation des Warschauer Ghettos von einem SS-Mann (1), und das von einer Kindergruppe in viel zu großer Sträflingskleidung hinter dem Stacheldraht von Auschwitz, fotografiert bei der Befreiung (2). Ich bin über das erstgenannte gestolpert, weil es mir unangemessen erscheint, den Jungen auf dem Foto, sowie die Frau neben ihm (es ist nicht bekannt, ob sie zu dem Jungen gehört), beide ärmlich und gezeichnet, durch die Ich-Erzählerin und ihre Mutter in bunten Kleidern zu ersetzen, allen Hintergrund des Originalbildes wegfallen zu lassen. Dazu hängt über der Szene wie ein Damoklesschwert ein riesiges Hitlerbild,ebenfalls ein Zitat.
Auch über die Illustration der Ich-Erzählerin mit ihrer kleinen Schwester, die das Auschwitz-Foto zitiert, bin ich gestolpert: die große Gruppe der zerlumpten Kinder hinter dem Zaun ist nicht da, nur die beiden Mädchen an deren Stelle. Ein fragwürdiges Zitat m.E. auch dieses. Aber: insgesamt evozieren die Illustrationen von Stina Wirsén eine Menge Fragen, gut für ein Gespräch!
Hédi Fried, die die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hat, berichtet hier für junge Leser von dem, was ihr nicht als Kind, aber als junge Frau widerfahren ist. Nach der Befreiung kamen sie und ihre Schwester mit Hilfe des Roten Kreuzes nach Schweden. Sie ist eine der letzten Überlebenden, die schon vor vielen Kindern und Jugendlichen gesprochen hat. Sie selbst sagt, es sei wichtig, über den Holocaust Bescheid zu wissen – damit es nie wieder passiert.
(1) (2) Wikipedia, Child Survivors of Auschwitz