… das sind Bücher, die in einem Buchladen nicht jeden Tag verkauft werden, die gar nicht in jedem Buchladen zu finden sind, ja, nicht einmal in jeder Bibliothek!
Bücher, die Vermittler:innen brauchen, denen der Gedanke gefällt, gerade diese Bücher zum Haben und Zeigen zu haben. Denn fehlen sie, fehlen die seltsamen Gestalten, fehlen sperrige Handlungen, fehlt das Spiel mit dem Grotesken und Verrückten. Wir brauchen das neben dem „Normalen“, dem Hübschen, neben gediegener Nachhaltigkeit, neben eindeutigen Botschaften und Botschaften überhaupt, neben guten Absichten. Auch merk-würdige Bücher machen uns ein Bild von der Welt, eins, das uns nicht so vertraut ist. Und zeigen, dass es sie gibt, ist ja schon was!
Bauer Errfin und der Kongokäfer
Bestimmt gibt es bei der Autorin ein Terrarium mit Kongokäfern und wer im bayrischen Wald geboren ist, kennt auch einen Bauern Errfin – oder Erwin – oder?
Nein, so kann dieses Buch nicht betrachtet werden: da ist ein Kongokäfer und da ist irgendwo Bauer Errfin und mit ihnen beginnt die Geschichte.
Die Eltern des Kongokäfers haben Stress, Stress, Stress. Der Kleine muss allein zu Bauer Errfin fahren. Und schon geht es los! Rucksack packen und mit der U5 zum Kongokäferhauptbahnhof. Dort wimmelt es von Käfern: „Käfer steuern die Züge, summen aus den Zügen, summen in die Züge, schwirren zur U-Bahn …“ Später werden die Leser:innen erfahren, dass am Kakaduhauptbahnhof alles voller Kakadus ist, am Tigerhauptbahnhof alles voller Tiger (und wen findet der kleine schwarze Hengst am Bahnhof?) …, denn auch in weiteren Episoden sind die Eltern eigentlich urlaubsreif, haben aber Stress. Deshalb müssen auch der kleine Tiger, der kleine schwarze Hengst, der kleine Kakadu allein reisen. Das Ziel für alle: Bauer Errfin. Egal, von welchem Bahnhof, egal, welcher Zug, alle müssen in Plattling umsteigen und mit der Waldbahn (der „Waldbohn“) weiter. Die fährt nach Regen am Regen, man kommt im Regen an, meistens. Dann noch ein Taxi, oder mit Flügeln, schließlich herzlichster Empfang bei Bauer Errfin und Tante Hulda. Zu Essen, zu Trinken, Freunde und ein Schlafplatz im Heu. Kleine Missgeschicke (Koffer im Zug vergessen, die „Waldbohn“ fährt heute nicht auf Gleis 8 sondern von Gleis 7) und kleine verändernde Nuancen im Reiseablauf sorgen für Überraschung und Komik. Das Lama, zum Beispiel, will gar nicht zu Bauer Errfin.
Eine herrliche Quatschgeschichte ist das, lustig, absurd und schräg, sprachfunkelig bei der Verwendung literarischer Muster und immer auf Augenhöhe mit Kindern im Grundschulalter. Als Vorlesebuch hat sie mich sofort überzeugt, der Nachweis, ob der Text so auch beim Selbstlesen funktioniert, steht noch aus. Ich stelle mir Kinder vor, die „Trauriger Tiger toastet Tomaten“ mögen …
Ja, das beleidigte Lama am Zugfenster ist ein tolles Bild, aber genauso die lässigen Pferde an ihrem Hauptbahnhof und vor allem die Schlafbilder im Heu sind herrlich. Die Bilder haben die gleiche Leichtigkeit wie der Text und wie dieser stellen sie ihre Absurdität nie in Frage.
Zum Vorlesen ab sechs, zum Selbstlesen etwas später, glaube ich.
Kleopatra
Da muss man drauf kommen, eine Tüpfelhyäne zur Hauptfigur eines Bilderbuchs zu machen! Und sie dann Kleopatra nennen – in Krejtschis Bildern ist die Diskrepanz zwischen diesem Synonym für Schönheit und Kleopatras Existenz in Müll und Gestank zu lesen. Dort wohnt Kleopatra nämlich, auf einer Müllhalde. Sie führt mit Begeisterung einen Laden, der wie kein anderer ist, es ist ein Laden für Dinge, die keiner mehr will. Kleopatra ist eine Sammlerin durch und durch. Zerrissene Spinnennetze, Schneckenhäuser ohne Schnecken, Fotos mit nichts drauf, und und und. Leider findet Kleopatras Laden wenig Beachtung, bis eines Nachts Ed auftaucht und sich in die Taucherbrille ohne Gläser und Bändel verguckt und irgendwann seine sieben Geschwister mitbringt, die sich für alles in Kleopatras Auslage interessieren! Sie könnte glücklich sein, wäre da nicht diese unbestimmte Sehnsucht nach Sonne, heißem Wind und weitem Land in ihrem Herzen.
Eine nicht mehr ganz vollständige Weltkarte setzt eine gewaltige Veränderung in Gang, denn Ed entdeckt darauf Afrika und kann davon was erzählen. Zuerst hat Kleopatra nur so ein Gefühl, dann wird es eine Gewissheit: Afrika ist der Ort, wo sie hingehört. Sie verschenkt ihre Sammlung, ihren Laden und nimmt Abschied. Es würde weit sein bis Afrika, aber jeder Schritt bringt sie näher zu dem, was sie ist: eine Hyäne, getüpfelt.
Brauchen wir ein solches Buch? Unbedingt! Zuerst der Text, der alles, Mensch, Tier, Dinge gleich bedeutend behandelt. Es ist einfach alles da und entsprechend unaufgeregt klingt er. Dazu kommt Krejtschis lebhafte, emotionale Inszenierung der unnützen Dinge, Menschen, Tiere. Autor und Illustrator bringen es fertig, das Nutzlose mit Zärtlichkeit zu umgeben.
Das Loch
Das Loch, um das es geht, ist eine runde Stanzung durch das Buch samt Einband – mitten durch! Ziemlich großformatig, leuchtend gelb, mit Loch in der Mitte lässt es gar keine Rückschlüsse auf seinen Inhalt zu.
Dieser entpuppt sich als gleichzeitig realistische und doch total irritierende Bilderzählung fast ohne Wörter und mit dem Gebrauch von nur wenig Farbe.
Ein Mensch mit Torseter-typischem tierähnlichem runden Kopf und Maul zieht in eine neue Wohnung ein, schleppt und stapelt Kisten, ordentlich beschriftet sind sie alle. Er richtet sich provisorisch einen Essplatz her, brät sich ein Spiegelei. Erst beim Essen lässt er den Blick schweifen und entdeckt das Loch in der Wand direkt neben der Tür. Nur merkwürdig: obwohl das Loch durch die Wand geht, befindet sich auf der anderen Seite der Wand keins! Hä?
So beginnt ein raffiniertes Spiel! Mit Hilfe der Verschiebung der Illustrationen auf den Buchseiten befindet sich das Loch mal in der Schranktür, der Waschmaschine, in der Zimmerdecke oder mitten auf dem Fußboden. Komplett verwirrt – die Leser:innen sind es auch – leert der Mensch eine Kiste und „fängt“ das Loch! Kiste zu und ab ins Labor, um diese Merkwürdigkeit erforschen zu lassen. Unterwegs entschlüpft das Loch, ist Straßenlampe, Ampel, Autoreifen, Luftballon …. In der Straßenbahn wird nachgeschaut, ob das Loch noch da ist. Ja, es befindet sich in der Kiste …
Die Kiste samt dem Loch bleibt im Labor, so dass der Protagonist erleichtert nach Hause gehen kann, sich ein Bett herrichten, den Schlafsack ausrollen und hineinkriechen kann. Wir Leser:innen sehen, dass das Loch seinen Platz in der Wand wieder eingenommen hat!
Torseter ist ein wunderbares Spiel mit der Wahrnehmung gelungen und hat es mit größter Leichtigkeit und zeichnerischer Sicherheit zu Papier gebracht. Die Leser:innen verstehen irgendwann das System. Mit lachender Verblüffung wird die Handlung verfolgt. Ja, ein Loch kann man einfangen und in einer Kiste wegtragen – wer hätte das gedacht!