sieben

Buchcover "sieben"

Schöpfungsmythen sind mächtige Erzählungen. Weil es um den Ursprung allen Seins geht, das Umfassendste, das wir uns vorstellen können – oder auch nicht. Wer oder was ist „das Erstbewegende“, wer oder was ist das Etwas, aus dem das Universum, wir selbst entstanden sind? Unser Bewusstsein zwischen unserer Geburt und unserem Tod steht letztlich fassungslos vor der unendlichen Größe und scheinbar unendlichen Dauer der Welt. Natürlich bleibt uns zu fragen und zu forschen – und zu erzählen. In diesen Zusammenhang stellt Linda Wolfsgruber ihr neues Buch „sieben“, sie wählt die Erzählung und das Bild. Sie folgt dabei der biblischen Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose des Alten Testamentes in einer Einheitsübersetzung, verbunden mit Varianten der Bibel in gerechter Sprache und auch eigenen Formulierungen.

Sieben mal sieben Bildtafeln für Tag eins der Schöpfung bis Tag sieben setzen sich zum Text in Beziehung. Für "Tag eins": Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde / die Erde war wüst und wirr / Finsternis lag über der Urflut und / Gottes Geist schwebte über dem Wasser […]. Der poetische Text steht schmal gedruckt links in einer schmalen Spalte, das Bild reicht auf jeder Doppelseite weit über den Mittelfalz hinaus. Und egal, ob von einem schöpfenden Gott erzählt wird, oder ob wir den Urknall mit der Entstehung von Materie, Raum und Zeit zu sehen meinen: wüste, stürmende Leere und Dichte, dunkelste Dunkelheit und gleißendes Licht beherrschen den Anfang des Universums - die ersten sieben Bildtafeln.

Erst am „3. Tag“ kehrt Ruhe ein (Gott nannte das Trockene Land / und die Ansammlung des Wassers Meer), auf Inseln im Meer sprießen die ersten Bäume und Sträucher. Sie werden aus dem Dunkel ans Licht geholt, denn die bisher vorherrschenden Monotypien machen Platz für eine zarte Kratztechnik, die unter einer Farbfläche verborgene neue Farben zum Vorschein bringt (wir kennen das als eine bildnerische Zufallstechnik, hier scheinen die drunter liegenden Farben mit Bedacht angelegt worden zu sein). Dann erblühen der Kosmos, die Pflanzen, die Tiere - auf der Erde, im Wasser und in der Luft. Wunderbare, ganz differenziert ausgezeichnete (hervorgekratzte) Fisch- und Vogelwelten, eine Bisonherde - ein Zitat steinzeitlicher Höhlenmalerei, schließlich ein Löwe mit prächtiger, goldener Mähne, Schlangen, Schildkröten, Krokodile,

Dann der "7. Tag" (am 7. Tag vollendete Gott das Werk […] und ruhte). Faultiere hängen im Dschungel ab, Löwinnen fläzen sich im Schatten, Kamele liegen wiederkäuend zusammen. Und der Mensch? Der entsprechenden Textstelle zugehörig sind zwar Rind und Schaf zu sehen, aber der Mensch ist nicht zu finden. Er erscheint erst später und keineswegs als „Krone der Schöpfung“. Zwei einander zugewandte Köpfe sind als Umriss dargestellt, ausgeschnitten aus einem wild wuchernden Pflanzen-Bild – Natur in der „Form“ des Menschen.
Ganz am Anfang des Buches wird mit den eigenen Worten der Autorin die Welt als den Menschen anvertraut beschrieben. Noch davor, auf dem Vorsatzblatt, ist eine eiskalte arktische Landschaft zu sehen, riesige Gletscher, eine Eisbärengruppe. Der hintere Vorsatz nimmt dieses Motiv auf: die Gletscher sind aber nur noch halb so hoch und kein Eisbär weit und breit!
Und so kann Linda Wolfsgrubers „sieben“ in mehreren Weisen rezipiert werden: als religiöses Buch, als eins zum Staunen und Wundern über die Vielfalt und Schönheit der Erde, als „Klimabuch“, als Aufforderung zur Bewahrung der Vielfalt der Natur, weil Menschen sie brauchen, denn sie sind Natur.
Als Kunstbuch allemal!

Linda Wolfsgruber
sieben
die schöpfung
Tyrolia Verlag
2023
72 Seiten
Rubrik: