Asphalthelden

Sammlung: 
Buchcover

Die Protagonist:innen der 10 Geschichten in diesem Band kennen sich – mehr oder weniger. Sie  gehen in dieselbe Schule, wohnen zwei Straßen weiter, treffen sich am Straßenübergang bei der Schülerlotsin. Die Geschichten beziehen sich auf diese Weise lose aufeinander, sind aber jede für sich eine eigene Version vom Nach-Hause-Gehen nach der Schule: mit quasi philosophischen Diskussionen zum Beispiel, ausgelöst von immer wieder entstehenden Popeln (sind wir Menschen nicht eventuell aus Popel?). Oder: hätte X an diesem einen Tag die Schule nicht durch den Hinterausgang verlassen, hätte sie gewusst, dass Y’s Mutter ihr zerbrochenes Skateboard geklebt hatte und er damit VOR der Schule auf sie wartete. Irgendein Heimweg hält immer den Hund parat, der über den Zaun springen und zubeißen könnte – und dann die unübersehbaren und zweifellos fiesen Lacher hinter dem Fenster des vorbeifahrenden Schulbusses. Überhaupt der Schulbus. Neben den drei Bänken vor der Schule, und neben der Stelle, wo Cantzons Mutter als Schülerlotsin gleichsam das Automeer teilt, damit die Schüler:innen unbeschadet die Straße überqueren können, gehört der Schulbus zu den Fixpunkten, die die 10 Geschichten zusammen halten. Was ein Schulbus im Leben ein:er Schüler:in bedeuten kann, das entwickelt der Geschichtenerzähler eindrucksvoll über zwei Buchseiten, und tatsächlich begegnet er den Leser:innen in jeder Geschichte, er fällt sogar vom Himmel!

Aber „Helden“? Nein, Helden sind diese fast Jugendlichen meines Erachtens nicht, obwohl sie durchweg Konflikten und Schwierigkeiten nicht ausweichen, sondern Haltung entwickeln und persönliche Entscheidungen treffen. „Asphalthelden“ suggeriert zudem, dass vom Leben auf der Straße erzählt würde. Das ist genau nicht der Fall, alle Hauptpersonen sind auf dem Weg nach Hause und sie haben auch ein Zuhause. Neben Freundschaften spielt nämlich auch die jeweilige Familie in den Geschichten eine große Rolle. Der englische Originaltitel „Look Both Ways“ ist treffend und mehrdeutig zugleich, vielleicht hätte er doch mit einem Untertitel versehen übernommen werden können.

Der Erzähler ist seinem Personal absolut zugewandt, da ist Zuneigung und Zärtlichkeit im Spiel. Das herauszufinden macht einen großen Teil des Lesevergnügens aus, ein anderer entsteht mit der sprachlichen Vielfalt. Jede Geschichte hat einen eigenen Ton, manchmal ganz schön rau und derb und rotzig und dann auch poetisch und still. Die verschiedenen Texte und Textsorten – Dialoge, Listen, ein Schlachtplan für die Begegnung mit dem Hund, die Was-wäre-wenn-Episode, eine rasante Unternehmung zur Geldvermehrung gegen die Zeit – geben nicht alles preis. Auch zwischen den Zeilen muss gelesen werden und manch ein Schluss lässt nicht nur eine einzige Deutung zu.

Sehr lesenswert für Jugendliche ab 13 und für alle.

Jason Reynolds
Asphalthelden
Aus dem amerikanischen Englisch von Anja Hansen-Schmidt
dtv
2021
Rubrik: