Was alles steckt in dieser modischen Formel: eine Entschuldigung annehmen, selbige abwehren, Bemühungen stoppen, auf Abstand halten, Fragen abwehren. Es bedeutet wohl niemals, dass „alles“ gut ist. Auch in der Kinderliteratur wird mit der Generalisierung „alle“ nicht gegeizt. Die folgenden Empfehlungen mindern, karikieren und relativieren dieses „alle/alles“. Viel Vergnügen!
Alles Okay
Beinahe in Echtzeit folgen die LeserInnen der 15-jährigen Marin: aufstehen, duschen, anziehen, Musik raussuchen, Wasser holen, Wasserkocher anstellen … die Sprache vermittelt schnell, dass Marin versucht, über diese Alltagstaktung ihr Leben im Griff zu behalten. Wir befinden uns sofort mit der Ich-Erzählerin in ihrem College-Zimmer: gerade hat sich ihre Mitbewohnerin in die Weihnachtsferien verabschiedet, nicht ohne einen letzten Versuch, Marin mitzunehmen, denn die wird sonst als einzige die Weihnachtstage im Wohnheim verbringen. Aber Marin will nicht, kann nicht.
Was ist passiert? Warum hat sie Hals über Kopf die 5000 km zwischen sich und San Franzisko gelegt, wo sie bei ihrem Großvater aufgewachsen ist, obwohl das College noch Ferien hatte? Langsam entfaltet der Roman Marins Geschichte. Er verschränkt dies mit dem Besuch von Marins Freundin Mabel, die für drei Tage kommt und zu der Marin wie zu allen und zu allem anderen den Kontakt abgebrochen hatte, obwohl Mabel im vergangenen Sommer ihre Liebes-Freundin geworden war. Diese drei Tage, ein schwerer Blizzard und vor allem die beharrliche Mabel schaffen es, Marins Abschottung aufzubrechen. Und viel mehr darf hier nicht erzählt werden. Nur noch soviel: Marins geliebter Großvater ist gestorben, sein Tod enthüllt sein Lebens-Geheimnis. Für Marin bedeutet das einen kompletten Verrat an eigentlich Allem.
Unbedingt lesenswert, für Jugendliche
Alles war See
Eigentlich wollen die Frau und der Mann, ein junges Paar, Blumenkohl pflanzen, doch draußen stürmt es gewaltig. Der Sturm zerstört das Dach – aber lohnt die Reparatur noch? Lieber gleich ein neues Haus bauen, wenn das alte so baufällig ist? Vielleicht unten am See? Keine gute Entscheidung, denn das nächste Unwetter lässt Bäche und den See anschwellen, so dass die beiden ihr Haus retten müssen. Mit Hilfe von Rädern, die sie an das Haus schrauben, und mit Hilfe ihrer Tiere schieben sie das Haus auf einen Berg, jetzt endlich soll ein Garten samt Blumenkohl… aber erst muss ein Stall für die Tiere her, die ertrunken wären, würden sie im alten Haus geblieben sein. Das ist im See versunken. Das nächste Unwetter macht den Stall notwendiger denn je, denn immer mehr Tiere suchen Zuflucht dort. Mann und Frau bauen und bauen. „Der See schluckte den Wald. Der See schluckte die Wiesen. Der See schluckte den Garten. Ein Glück, dass sie den Blumenkohl noch nicht gepflanzt hatten.“ Schließlich treibt das Haus wie ein Schiff auf dem See. Ja, es kommt Land in Sicht…
Biblisch anmutend, phantastisch, komisch, leichtfüßig und möglicherweise auch klimakritisch wird hier von Zuversicht und großer Tatkraft erzählt. Die Illustratorin setzt dies mit ganzseitigen Tableaus in Szene, Meer Wind, Regen fängt sie atmosphärisch ein, ein Bilderbuch zum Schauen, aber auch zum Nachdenken über die Welt.
Alle behindert!
Viel versprechende Ankündigungen im Titel und auf dem Cover: Glotz nicht so, schau rein! Und du kommst auch drin vor! – und die Erwartungen werden nicht enttäuscht! Die Autorin hat ein Schema entwickelt, entlang dessen sie 25 Kinder mit ihren Behinderungen vorstellt, zum Beispiel "A":
- A mag gerne
- A mag weniger
- A’s Lieblingssatz
- A’s Behinderung
- Spitz- oder Schimpfwort
- Wie oft kommt das vor
- Geht das wieder weg
- Wo kommt das her
- Wie gehe ich auf A zu
- Was lasse ich lieber
- Kann ich mit A spielen
- Was ist daran einfach nur doof
- Was ist ein Vorteil.
Diese Kategorien spiegeln Kindersicht und sind offen für eigentlich alle Arten der Behinderung, die hier von Down-Syndrom über Lernbehinderung, Querschnittslähmung, Stottern bis zu Angeber sein, ADHS haben, Rüpel sein, Tussi sein, Autismus, Blindheit, süchtig sein und noch viele mehr reichen. Die Gleichsetzung all dieser Beeinträchtigungen ist sicher diskussionswürdig, sie nimmt aber allen den Wind aus den Segeln, die „doch wohl mal sagen können wollen“, wer in unserer Gesellschaft nicht dazu gehört. Normal sein – diese Kategorie gibt es nicht!
Die Illustrationen von Horst Klein sind angemessen karikaturhaft, das Handlettering ist gut lesbar. Auf jeder Seite wird ein mal erweiterndes, mal relativierendes „Geheimwissen“ preisgegeben, eine Seite zum Selbst-Ausfüllen für lesende Kinder fehlt nicht, die Seite mit Dank an alle Kinder, die zu diesem Buch beigetragen haben, rundet das Buch ab. Zum gemeinsam Anschauen, Lachen, Diskutieren!