Egal, wie sie genannt werden: Papp-Bilderbuch / Steifdeckel (östrr.) / Toddler / Boardbook (engl.), diese Bücher sind für kleine Hände, was das Format betrifft, robust und solide, was noch ungeübten Umgang mit Büchern betrifft, überschaubar, was den Umfang des Dargestellten und des Erzählten betrifft. Sie sind zum Blättern, zum Klappen, zum Auf-den-Kopf-drehen, zum Hören, zum Fühlen und sogar zum Riechen.
Vor einigen Wochen saß im Zug über den Gang hinüber eine Frau mit zwei Kindern. Eins war ein Baby, das andere, nach meiner Schätzung, vielleicht drei Jahre alt, eher jünger. Wenn das Baby unruhig wurde, legte die Frau es an die Brust. Das ältere Kind war während der Dauer meiner Mitfahrt (zweieinhalb Stunden) mit ein paar Süßigkeiten und einem Kinder-Tablet beschäftigt. Ab und zu rief es laut und nachdrücklich „Mama“, die kümmerte sich dann, möglicherweise um den Start eines neuen Spiels. Sie selbst hatte auf diese Weise Gelegenheit, ihrerseits am Smartphone zu sein – perfekt einhändig. Zweieinhalb Stunden Ruhe während einer Zugfahrt! Niemals wäre das mit (Pappbilder-) Büchern gelungen! Kommentare, Antworten, auch Aufmunterungen seitens der Erwachsenen wären wohl nötig gewesen beim Bilder betrachten und Vorlesen …
Es soll hier nicht diskutiert werden, mit welchen Medien, oder mit welchem Medien-Mix eine lange Zugfahrt mit kleinen Kindern bewältigt werden kann. Auch nicht, ob zweieinhalb Stunden Bildschirm in diesem Zusammenhang eine richtige oder fragwürdige Maßnahme sind. (Mit bewegten Bildern auf Bildschirmen haben ja schon die kleinsten Kinder Erfahrung, man nenne nur die zahlreichen face-to-face-Telefonate mit Großeltern ect.) Es geht in diesem Beitrag um Bücher, die zum Einen für kleine Kinder Entdeckungen und „Weltaneignung“ bereithalten, freies Hantieren/Blättern ermöglichen und Fantasie -und sprechanregend sind – und gleichzeitig die Fantasie eines Erwachsenen in Gang setzen können, was Spaß mit Kindern bedeutet. Eine Zugfahrt also (doch) mit Büchern? Mit Pappbilderbüchern, denen Einfachheit im Sinn von Begrenztheit nachgesagt wird? Ja, allerdings sind sie ein „Einfaches, das schwer zu machen ist“!
Im Folgenden wird eine kleine Best-Off-Liste abgearbeitet, die abseits der allseits bekannten und beliebten und oft ge- und verkauften Titel 1 ins Auge gefallen sind: ältere, lieferbare Titel und auch neu erschienene Bücher sind dabei.
Zuerst zwei Gute-Nacht-Bücher. Ein Longseller im Moritz Verlag, nicht ganz so bekannt, aber besonders, ist der Titel „Augen zu, kleiner Tiger“. Nicht nur, weil die Bilder sehr malerisch sind und wohl nicht am Computer entstanden sind, sondern auch wegen des zentralen Gesprächs zwischen dem kleinen Tiger und seiner Tiger-Mama. Es verläuft nicht entlang der üblichen Ich-kann-nicht-schlafen-Einfälle, die in vielen Büchern vorkommen: noch etwas trinken, nochmal aufs Klo, ein Monster im Schrank oder unter dem Bett. Selten wird, wie in diesem Buch, eine kindliche Angst vor dem Einschlafen „echt“ formuliert. Wenn ich die Augen zumache, kann ich den Himmel nicht mehr sehen. Ich kann den Vogel mit den blauen Federn nicht mehr sehen … Daraus entwickelt sich ein kleiner nachdenklicher Dialog. Wenn er erst schlafe, sagt die Mama, könne er viel mehr sehen, im Traum könne er sogar fliegen. Fliegen – ja, aber wenn ich falle, gibt der kleine Tiger zu bedenken. Erst die Versicherung, dass seine Mama ihn auf jeden Fall auffinge, gibt ihm die Sicherheit, sich dem Schlaf zu überlassen.
Die großen Augen, die ernsthaften Fragen des kleinen Tigers, die liebevolle aber unsentimentale Zugewandtheit der Tiger-Mutter, das leuchtende Noch-nicht-Nacht-Blau als dominierende Farbe auf den Buchseiten machen dieses Buch zu einem fast unverzichtbaren Begleiter für Menschenkinder ab zwei Jahren.
Mehr um eine Erkundung der Nacht geht es in Daniela Kulots Buch „In der Nacht“. Was macht der Mond in der Nacht? Er tanzt mit den Sternen und lacht. Ein Kind steht am Fenster und schaut hinaus in die Dunkelheit, in der es auch Licht gibt. Es fragt die Dinge ab, die es schon kennt: den Mond eben, aber auch eine Katze, ein Schiff, ein Igel, ein Gespenst. Die Antwort erscheint in fröhlich gereimter Form auf der folgenden Seite. Ein Fragespiel, das je nach Alter eines Kindes auch jenseits des Buches fortgeführt werden kann. Wie in allen Bilderbüchern von Daniela Kulot kennzeichnen klare Linien die Figuren, ebenso klare Farben und eine übersichtliche Räumlichkeit, die dennoch viele kleine benennbare Details zeigt, die Bildlichkeit des Buches.
Dann die Fahrzeuge! Fahrzeug-Bücher für kleine Kinder sind oft „Zeige-Bücher“: sie reihen die Dinge aneinander – dies – und dann – und dann – und dann noch. Liebhaber:innen aller möglichen Fahrzeuge auf zwei, drei und vier Rädern kommen an „Was braust so schnell vorbei?“ von Thomas Müller nicht vorbei. Mit Tieren vor allem besetzt fährt eins nach dem anderen „vorbei“, von Müller differenziert und humorvoll gezeichnet. Jedem ist eine eigene Buchseite vorbehalten und alle haben Tempo drauf! Erst auf der allerletzten Seite klärt sich, warum alle es so eilig haben. Im Frühjahr 2024 erschien vom selben Autor „Wer fährt übers Meer?“ Schiffe von der Arche Noah bis Ruderboot, wie die Fahrzeuge mit diversestem tierischen Personal besetzt.
Mit selbst aufgebauten „Waggons“ Eisenbahn spielen, das setzt Vera Eggermann für KiTa-Kinder mit einer Griffleiste ins Bild. „Wer steigt ein?“ ist im Rahmen des schweizerischen Buchstart-Projektes erschienen. Ein Dreirad, ein Wäschekorb, ein Gartenstuhl, ein Bananenkarton, alle aneinander gebunden, warten darauf, besetzt zu werden. Ganz ohne Hintergrund, nur mit ein paar herumliegenden Dingen ist alles als Spiel zu erkennen. Wunderliche Fahrgäste kommen, ein Bär zum Beispiel, eine Ente, ein Wurm! Ja, der steigt auch ein. Die Pointe erfordert einen Perspektivwechsel von den Betrachter:innen. So wird die Frage beantwortet, wer eigentlich steuert. Plötzlich schaut man vom Innen der „Eisenbahn“ nach draußen, nach vorne, mit einem Steuerrad vor sich.
Natürlich ist ein Fuchs kein Fahrzeug! Dass es aber möglich ist, auf dem buschigen Schwanz eines Fuchses voran zu kommen, zeigt Susanne Straßer in ihrem Pappbilderbuch „Fuchs fährt Auto“. Der Fuchs, im knallroten Rutschauto unterwegs, bemerkt vor lauter Fahr-Begeisterung gar nicht, dass sich immer mehr blinde Passagiere auf seinem Schwanz niederlassen. Auch ein Kind ist dabei, wie in allen Straßer-Büchern immer dasselbe, mit blonden Spaghettihaaren und gerade abgeschnittenem Pony. Selbst als es bergauf geht, wundert sich der Fuchs nur, dass das so schwer geht, abwärts dafür rasant! Wie so oft, lässt etwas Kleines das Fass überlaufen und natürlich löst sich alles in Spaß auf. Susanne Straßers Farbkonzept mit blau-türkis im Hintergrund, mit gelb und rot, hier dem des Fuchses, funktioniert seit ihrem ersten, viel beachteten Buch „So weit oben“ zuverlässig!
Klappen, die ein Dahinter verborgen halten, sind eine Erfolgsgeschichte. Viele Themen werden so verhandelt, oft sachlich orientiert im Doppelseiten-Konzept, oft auch in der Form des Reihenbuches. Isabel Pin setzt hier mit ihrem Titel „Ein Regentag im Zoo“ einen Maßstab! In weitem (Seiten-) Raum befindet sich genau eine Klappe: die „Tür“ zum Haus eines Zootieres, in das es sich zurückgezogen hat, schließlich regnet es. Jede Tür gibt mit ihrer Form einen Hinweis auf das Tier dahinter. Der Clou: nicht immer sind die Hinweise eindeutig … Auch die für Erwachsene ganz und gar eindeutigen Formen geben kleinen Kindern Rätsel auf. Türkis, grün-braune und Blautöne herrschen vor, ein paar stilisierte Pflanzen auf der Seite verteilt deuten eine Umgebung an und bilden den zurückhaltenden Grund für die wunderbar bemalten „Türen“. Und immer regnet es mit ganz feinen Strichen … Ein Klappenbuch zum immer wieder Anschauen.
Was gibt es um mich herum, im Dorf, in der Stadt, in der Welt? Wie heißen die Tiere, die Pflanzen, die Dinge? Wer wohnt wo? Wie funktioniert was? Himmel und Erde, mein Körper, meine Familie, meine Freund:innen – die Bücher sind zwar nicht zahllos, aber sehr zahlreich, ebenso die Verlage, die sich diesen oft in Serien erscheinenden Themen widmen. Und jedes Frühjahr, jeden Herbst kommen neue dazu.
Im Beltz Verlag erscheint eine kleine Natur-Pappen-Reihe, bebildert von Katrin Wiehle. „Natur“ in zweifacher Hinsicht: Tiere und ihre Lebensräume sind das Thema und: die Buchpappe ist vor dem Druck nicht gebleicht und danach nicht kaschiert worden. Eine griffige Haptik wird dadurch erzeugt, die Bilder sind ohne Brillanz und wirken wie Buntstiftzeichnungen auf farbigem Papier. Wunderbare, sachlich das Wesentliche darstellende Vogelbilder sind so für das „Kleine Vogelbuch“ entstanden, und das gilt auch für „Mein kleines Meer“, „Mein kleiner Teich“, für „Ozean“, „Eichhörnchen“ … Inzwischen haben andere Verlage das Natur-Buch-Konzept aufgenommen und eigene Reihen entwickelt.
„Kräne“ zum Beispiel, ist ein aktueller Titel aus den vielen Reihen des Usborne-Verlages. Für Baustellen-Fans werden hier sachlich, verbunden mit Klappen, unter denen zusätzlich Informationen gefunden werden, alle möglichen Arten von Kränen dargestellt, eine Großbaustelle bildet den Hintergrund. Und ein eher rückwärts gewandtes Beispiel ist die „Hör mal“ Reihe des Carlsen Verlages. In ihren Anfängen waren das Pappen mit Geräuschen, durch Drücken hörbar zu machen, immer sechs pro Band, mit sehr malerischen Bildern von Anne Möller von Tieren auf dem Bauernhof, im Zoo, am Meer. Ihr großer Erfolg hat diese Buchreihe, und überhaupt alle weiteren Sound-Buch-Reihen, stark ausdifferenziert – nicht immer überzeugend. Der Carlsen Verlag hält seine Anfangs-Titel erfreulicherweise noch lieferbar.
Gereimtes ist immer gut? Nein, nicht immer. Wenn die Reime hölzern sind und beim Vorlesen holpern, vergeht der Spaß schnell. Die Österreicher:innen Elisabeth Steinkellner und Michael Roher, eingespielte Büchermacher:innen, legen mit „Heupferdchen hüpf“ eine fließend gereimte, vergnügliche Geschichte vor. Das Motiv ist bekannt: das kleine Heupferd geht mit dem großen einkaufen, muss aber unterwegs dies und das anschauen, aufsammeln, erklimmen - das Große ist (liebevoll) genervt und bietet zuletzt sogar was zum Naschen an, wenn … Dann kommen zwei Asseln und die drei Großen quatschen sich fest. Der Rest ist vorstellbar, die Pointe auch.
Schön ist, dass der gereimte Text ohne Füllwörter über die Lippen rollt und schön sind die Bilder! Wie mit gut gefüllter Farbrolle vorbereitet wirken die Hintergründe, viel Grün, aber auch Rosa kommt zu Einsatz. Die Figuren wirken wie mit Pappelementen gedruckt, dann mit Details –„Kleidung“, angedeutete Umgebungen – ausgestaltet. Ein Vergnügen zum Vorlesen und Anschauen schon ab zwei Jahren.
Apropos rückwärts: 25 Jahre alt ist „Klopf an“ von Anna-Clara Tidholm, aber wirklich zeitlos, schlicht im besten Sinn. Kein Kind ist mir bekannt, das mit diesem Buch nichts anfangen kann. Anklopfen an der blauen, der roten, weißen, grünen „Tür“ (gleich Buchseite), nach dem Umblättern finden sich dahinter verschiedene Räume mit kleinen und kleinsten Zu-Bett-geh-Geschichten mit Hasen, Bären und Affen. Es regt zum Erzählen an, zum Farben erkunden, zum Zählen sogar und zum Raten, denn irgendwann weiß ein Kind natürlich, was sich hinter den Türen verbirgt und neue Spiele können erfunden werden.
- 1.
Peggy Rathmann: Gute Nacht, Gorilla (Moritz Verlag)
Donaldson/Scheffler: Der Grüffelo (und andere Titel dieser beiden), Beltz Verlag
Jörg Mühle: Einmal noch die Ohren kraulen (und Folgebände) Moritz Verlag
Rotraut Susanne Berner: Winterwimmelbuch (und Folgebände) Gerstenberg Verlag
Nadia Budde: Eins – zwei – drei – Tier (Peter Hammer Verlag)