Soll ich dir eine Geschichte erzählen? Ja, immer! Geschichtensammlungen machen neugierig und machen Spaß. Schon, weil sie eine besondere Behandlung provozieren und vertragen: man kann überall einsteigen. Fangen wir vorne an oder hinten, schlagen wir das Buch einfach irgendwo auf? Lassen wir uns von Überschriften, oder von Bildern lenken? Lieblingsgeschichten kann man schließlich (fast) mitsprechen!
Dieses Triple „versammelt“ alte und neue Geschichten, schon ab 3 Jahren, für ältere Kinder und für Erwachsene.
Das Geheimnis hinter den Geschichten
Wie verhält es sich beim Erzählen mit der Wahrheit? Sind Geschichten dann wahr, wenn die Autor:innen sie auch selbst erlebt haben? In welchem Maß hat die Lebensgeschichte eines Autors, einer Autorin Einfluss auf ihr Schreiben, oder genauer: verarbeiten sie konkrete Erlebnisse, Beobachtungen, Personen? Oder halten sie es mit Mark Twain: „Als ich jünger war, konnte ich mich an alles erinnern, ob es sich nun zugetragen hatte oder nicht.“ Ist also alles wahr, was jemand sich vorstellen kann? Und wie ist eine/r überhaupt zum Schreiben gekommen? Was sind das für Menschen, die Momo, das Sams, den kleinen Prinzen und die Wilden Kerle erfunden haben? Um solche Fragen geht es in diesem Buch. Sie, beziehungsweise die Antworten darauf, sind ein Teil des Geheimnisses hinter den Geschichten.
Ebi Naumann hat dafür 20 alte, junge und schon gestorbene, allesamt berühmte Erzähler:innen „befragt“. Manchmal konnte sie einen Werdegang mit Hilfe einer Autobiographie der betreffenden Person beschreiben, andere sind, was zum Beispiel ihre Kindheit, ihre Jugend betrifft, eher verschlossen oder verschlossen geblieben. Ihre Vorgehensweise beschreibt Ebi Naumann so: „[…] Deshalb bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als das heraus zu picken, was ich am interessantesten finde. Anders als beim Kuchen sind das aber nicht nur die Rosinen. Schließlich besteht das Leben nicht nur aus Sonnentagen, und nicht alles läuft und gelingt einem immer so, wie man es sich wünscht. Das ist bei den Autorinnen und Autoren, die hier versammelt sind, nicht anders als bei euch – da können ihre Bücher so berühmt und toll sein, wie sie wollen.“
Ebi Naumanns Buch ist auf jeden Fall informativ und unterhaltsam geworden! Jedes Kapitel wird mit einem von Katrin Engelking gemalten, gelungenen Portrait der jeweiligen Person eingeleitet, dazu mit einem prägnanten Ausspruch, zwischendurch eingestreut immer ein „übrigens 1/2/3“ (was auch noch zu sagen wäre, eine Art Bonus-Wissen). Dass für Autor:innen schon in der Kindheit Lesen, Schreiben, Bücher eine Rolle spielten, ist nicht besonders überraschend, eher schon, dass nicht wenige mit eigenen Kindern zum Schreiben kamen. Es gibt glückliche und weniger glückliche Kindheiten, schnellen Erfolg als Autor:in, aber ebenso Durststrecken zum Ruhm.
Die Leser:innen erfahren alles in einem gut lesbaren Fließtext, in dem Ebi Naumann immer wieder ein „du“ oder ein „ihr“ direkt anspricht. Spannend zu lesen ist das, für Kinder etwa ab 10 Jahren und für alle, die sich für Autor:innenschaft und für die in diesem Buch befragten berühmten, lebenden, jungen, alten und schon gestorbenen Schreiber:innen interessieren, als da sind:
Erich Kästner, Astrid Lindgren, Alan Alexander Milne, Maurice Sendak, Tove Jansson, Antoine de Saint-Exupéry, Judith Kerr, Mark Twain, Christine Nöstlinger, James Krüss, Roald Dahl, Paul Maar, Andreas Steinhöfel, Michael Ende, Ottfried Preußler, Kirsten Boie, J.R.R.Tolkien, Frida Nilsson, Finn-Ole Heinrich und Eric Carle.
Als ich mal
In 15 Geschichten erzählt Deef von sich: als er mal den Bus verpasste, als er mal was Schönes machen sollte, als er mal ein Referat halten musste, als er mal ein Wort nicht wusste … Zuerst ist da seine Mutter, die einen Kommentar abgibt. ‚Sei ja pünktlich‘ (in der Geschichte mit dem Bus). ‚Man kann im Leben nicht immer was Schönes machen‘ (in der Geschichte, als Deef das Schöne mit seinem Vater machen sollte). ‚Denk mal in Ruhe nach‘ (als er mal ein Wort nicht wusste). Das, wofür Deef kein Wort wusste, war dieses:
‚wie das hieß, wenn man irgendwo hinging, um was zu machen,
und wenn man dann da war, nicht mehr wusste, was man da machen wollte,
und dann wieder dahin ging, wo man hergekommen war,
und es dann auf einmal wieder wusste,
und dann dachte, dass man das, was man da machen wollte, eigentlich
gar nicht zu machen brauchte, und es dann nicht machte,
sondern sich hinsetzte und an was anderes dachte, zum Beispiel
an ein Huhn‘.
Deefs Mutter ist dafür keine Hilfe.
Da wäre auch noch die Sache mit dem Bus, den Deef verpasst hatte. Womöglich ist der ins Ausland gefahren? Vielleicht hatte der Fahrer vorgeschlagen, mal ganz woanders hinzufahren und alle im Bus waren einverstanden gewesen? Und schließlich kommt nach dem gelungenen Referat über den Java-Tiger selbiger durch die Klassentür, zum Glück ist der Java-Tiger aber schon ausgestorben.
So hangelt sich Deef mal mit viel Umwegen, mal mit weniger zum Ziel. Mit Sprachwitz, Fantasie, Naivität und leichter Melancholie durchdenkt er seine alltäglichen Lebenslagen und Lebensfragen. Das klingt manchmal beinahe lyrisch, dann wieder ordentlich durchwurstelt, in Deefs Wort: drummelig.
Schwarzweiße, witzige Zeichnungen ziehen den Blick auf sich. Die Sätze sind kurz, das Schriftbild großzügig, die Zeichnungen lockern den Textkörper auf. Trotzdem bedarf es für’s Selbstlesen solider Lesekompetenz. Toll ist es, wenn man gemeinsam liest, vorliest und schaut.
Kaya weiß, was sie will
Heike Brandts Geschichten sind gerade erst im Moritz-Verlag erschienen. Kaya, ein Kind im Kindergarten-Alter, ist immer für eine Geschichte zu haben. Soll ich dir die Geschichte von dem … erzählen? Ja, die sollst du mir erzählen! Wer mit kleinen Kindern zu tun hat, teilt die Erfahrung, dass sie dieselben Geschichten immer wieder spannend finden und hier wird angedeutet, dass Kaya sich mit denen, die hier gesammelt sind, schon auskennt.
Kaya, ihren Eltern und ihren beiden Großmüttern Tinka und Miri fehlt es nicht an immer wieder erzählbaren Erlebnissen. Ein Eichhörnchen, das sie beobachten, wie es ein vergessenes Osterei aufstöbert und fein das Silberpapier abpuhlt, bevor … was hätte die Leser:in auf die Frage geantwortet, ob Eichhörnchen Schokolade fressen? Es ist überraschend einfach, ein gekochtes Ei in ein Spiegelei zu verwandeln, das Treppensteigen in den 3.Stock ist jedoch für Erwachsene und Kind gleichermaßen eine Herausforderung. Eine Maus in der Küche, die Kita, ein Sturz, eine Krankenwagen-Erfahrung, von verschiedenen Erwachsenen betreut werden, das alles gehört zu Kayas Alltag. Darüber hinaus handeln die Geschichten von Selbstermächtigung und Erfahrungsgewinn eines Kindes, von Erwachsenen-Fantasie und liebevoller Geduld, die gebraucht werden, wenn eine Situation aus dem Ruder läuft und Schwierigkeiten gelöst werden sollen. Feine Beobachtungen münden in eine lebendige, dialogreiche Sprache. Obwohl manchmal „private“ Wörter und Wendungen gebraucht werden (der „Durster“), bleiben die erzählten Episoden offen für alle Zuhörer:innen.
Reich bebildert sind die Kaya-Geschichten! Giulia Orecchia begleitet den Text, sie visualisiert, was dort erzählt wird. Ihre Figuren strahlen Fröhlichkeit aus und Kaya kommt der Leserin energisch entgegen. Aus verschiedenen farbigen und bedruckten Papieren ausgeschnitten und collagiert, haben die Körperteile, die Kleidung ect. gerade Kanten, was zu „eckiger“, expressiver Darstellung der Bewegungen führt. Räumlichkeit wird manchmal nur angedeutet, indem die Figuren auf einem ausgeschnittenen Stück Fußboden / Teppich / Straße, oder vor einem Stück Wand platziert sind, in viel Weißraum hinein.
Zwei Geschichten spielen in der Küche von Kayas Zuhause. Mit Bedacht sorgt die Künstlerin dafür, dass Kinder den Raum und vorher schon mal wichtiges Inventar wieder erkennen können.
Schon 3jährige Kinder finden in „Kaya weiß, was sie will“ Lieblingsgeschichten!