„Jim Knopf und Lukas“ von Michael Ende hat in der neuen Cover-Gestaltung des Thienemann Verlages keine Pfeife mehr im Mund (als Zeichen seiner Verbundenheit mit Lukas, dem Lokomotivführer)! Seine dicken, rosafarbenen Lippen sind einer freundlich nach oben gebogenen Linie gewichen, und seine Haut ist „etwas weniger dunkel“ – so formulierte es eine Moderatorin im Radio. Herr Ärmel spricht ohne N-Wort, der Indianerjunge ist ein Junge, der Eskimojunge ein Inuit. Jims Hautfarbe wird nicht mehr expliziert, die Bezüge zu Ruß = Schmutz (in Lukas‘ Gesicht) entfernt. Alles in Absprache mit den Erben von Autor und Bildkünstler.
Im Gegensatz zu früher vorgenommenen Änderungen in Texten von Astrid Lindgren und Ottfried Preußler, folgt der Maßnahme des Thienemann Verlages kein Sturm der Entrüstung und keine kontroverse Diskussion. In den Medien erscheint – überall fast gleichlautend – lediglich eine Stellungnahme des Verlages, die auch den Hinweis auf ein erklärendes Nachwort in den alten, weiterhin lieferbaren Auflagen des Buches enthält.
Es ist schon fast vergessen, dass Michael Ende selbst wohl wegen des Vorwurfs, er verbreite Stereotypen über China, „China“ in „Mandala“ überführte. Allerdings: So, wie bei Pippi Langstrumpf der „Südseekönig“ ein weißer König am falschen Ort bleibt, verbleiben in „Jim Knopf“ auch nach den aktuellen Änderungen des Verlages die scheinbar fröhlichen, komischen „chinesischen“ Bezeichnungen. In einem alten Kinderspiel heißt ein Dieb Lang-Fing, ein Detektiv Lang-Fing-Fang. So „Spielerisches“, aber eben doch eine Verballhornung der chinesischen Sprache steckt auch in den Namen Pi Pa Po, Ping Pong, Schu Fu Lu Pi Plu. Jim heißt weiterhin Jim.
(Vor) Leser:innen müssen sich damit abfinden, dass eine Wortvermeidung allein den Zeitgeist eines Textes nicht verändert, dass Haltungen, Wertungen und Ironisierungen nicht so einfach rausgeschrieben werden können, ja, dass unbedachte Ergebnisse – da liegt also ein nicht mehr ganz so schwarzes Kind im Paket? – die Folge sein können. Oder der Text wird nicht mehr (vor)gelesen.
Warum ein Buch eigentlich nicht umfassender bearbeiten? „Mandalesische“ Namen erfinden? In Jims Gesicht mit etwas Licht und Schatten und Zähnen zu arbeiten, wenn man einen schwarzen Mund-Strich in einem schwarzen Gesicht bildlich nicht so gut darstellen kann? Das klingt übergriffig, ganz und gar respektlos, nach Missachtung von Autor:innenschaft und Urheberrecht. Aber ist ein Text wirklich über alle Zeiten unantastbar?
Die Veränderung eines literarischen Textes wird meines Erachtens erst dann ein Problem, wenn die Änderungsgeschichte unsichtbar ist!1Statt also den „originalen“ Textausgaben eine Erklärung dafür beizugeben, dass noch etwas geschrieben steht, das nicht mehr gesagt werden soll, könnte in den Neuausgaben erläutert werden, wie eine Textpassage „früher“ geklungen hat, wie sie verändert wurde, wer sie verändert hat und warum das geschehen ist. Es ist ja spannend – möglicherweise auch für Kinder – dass Jim Knopf mal eine Pfeife im Mund hatte. Oder, dass seine schwarze Haut zu Schmutz in Bezug gesetzt war ( …echt jetzt? ..). Auf diese Weise kann sich die Wahrnehmung von Pädagogik und Correctness ( … das sagt man heute nicht mehr … das darf nicht mehr gesagt werden ..) wegbewegen und deutlicher werden, dass Überzeugungen und Erkenntnisse dem Wandel unterworfen sind. Die Geschichte eines Textes wird so nicht tot geschrieben, sondern wäre lebendig!
Was „Jim Knopf“ betrifft: ich glaube nicht daran, dass der Thienemann Verlag die alten Ausgaben lieferbar halten wird, um Leser:innen zukünftig auch das „echte“ Leseerlebnis zu ermöglichen. Es wird noch einen Vorrat geben, der abverkauft wird, aber danach die Pfeifen-Ausgabe nochmal nachdrucken? Eher nicht … Umso besser und wichtiger wäre eine Seite in der Neuausgabe mit Hinweisen auf die Textgeschichte und die Bildgeschichte.
- 1. Nicht nur einmal passiert es in einem Buchhändler:innen-Leben, dass ein Titel auf den Markt kommt, der vor etlichen Jahren schon in vielleicht anderer Aufmachung oder in einem anderen Verlag erschienen war. Und nicht nur einmal geschieht das ohne Erwähnung im Vorschau-Katalog des Verlages oder gar ohne Wissen der Vertreter:innen, die mit diesem Buch auf die Reise gehen.